Vielleicht hast du diesen Artikel am 21. Juli in den Schweizer Nachrichten gelesen und dich gefragt, ob wir hier in St. Lucia wohl im «Faule-Eier-Gestank» Kitesurfen?
https://www.srf.ch/news/panorama/stinkender-algenteppich-das-meer-stirbt-quasi-an-multiorganversagen
Ja, auch in St. Lucia nimmt seit 2011 das Phänomen «Seaweed» [siwid] jährlich stark zu. St. Lucia bildet mit den anderen «Antillen» die natürliche Grenze zwischen Atlantik und Karibischem Meer. Wir haben also 5 Minuten mit dem Auto zum spiegelglatten Karibischen Meer und die gleiche Zeit um an den windigen, Wellen-brechenden Atlantik zu fahren. Am Atlantik besteht tatsächlich die ganze Küste entlang das «Seaweed» Problem. Diese Braunalge namens Sargassum muticum kommt aus der Sargasso Sea, die mitten im Atlantik, weit vor der Küste Nordamerikas und Kanadas liegt und sehr tief ist.
Wie im oben verlinkten Artikel beschrieben, nennen Wissenschaftler verschiedene Faktoren, wie beispielsweise die Klimaerwärmung und die Überdüngung der Böden rund um den brasilianischen Amazonas, die zu einem unglaublichen Wachstum dieser invasiven Alge geführt haben. Aktuell wird von einem Algenteppich von rund 8‘000 km Länge gesprochen. Solange die Alge zwischen Amerika und Afrika dahinschwappt, ist sie eigentlich Nahrungsquelle und Lebensraum für viele Meereslebewesen. Doch sobald die Alge beginnt abzusterben, beginnt im Meer und an den Stränden ein giftiges Inferno.
Für St. Lucia bedeutet dies, dass die Bilderbuchstrände seit 2011 jedes Jahr von Juni bis Oktober zunehmend zu einer Sulfit-produzierenden Kloake werden. Auch unser Kitestrand ist davon betroffen. Zwar hängen Gestank und Menge des Seaweeds stark von Wetter und Windrichtung ab und meist ist die Menge an Seaweed bei uns unproblematisch, aber es gab schon wenige Tage, da wollte ich nicht kiten. Doch wo Schatten ist, da muss auch irgendwo die Sonne sein:
Letzte Woche am Freitag hatte ich die Ehre gemeinsam mit Johanan Dujon, Gründer und Geschäftsführer von Algas Organics, und Tobias Schulze Frenking, Dozent an der Uni von Trinidad, die Schokoladenproduktion einer Kooperative, aus dem Osten der Insel zu besuchen. Das war sehr spannend, und das ist sicherlich ebenfalls ein Blog wert, aber heute bleibt unsere Aufmerksamkeit bei diesem inspirierenden 26-jährigen Mann aus Dennery namens Johanan, der nach dem Schatten die Sonne entdeckte:
Für St. Lucia ist das Seaweed nicht nur ein ökologisches Problem, sondern es wirkt sich auch ökonomisch erheblich auf die Haupteinnahmequelle des Landes, den Tourismussektor aus. Durch die Einbussen in der Fischerei waren die meisten Familien in Johanans Heimatdorf Dennery von der Plage betroffen. Deshalb beschloss Johanan, etwas zu tun. Seine Idee war es, 2014 ein Unternehmen zu gründen, welches Arbeitsplätze schaffen würde, um als Servicedienstleistung für Hotels und Regierung die Strände zu säubern. Doch anstelle das eingesammelte Seaweed dann zu beseitigen, entwickelte er eine Methode um den Seetang zu einem erstklassigen, organischen Dünger zu verarbeiten.
Ein unglaublich schönes Beispiel, wie ein junger Mann mit Hilfe von Familie und Freunden den Mut hatte, aus einem klimabedingten, gesellschaftlichen Problem ein seit 5 Jahren erfolgreiches Start-up zu entwickeln.
Johanan und sein Team wandeln Sargassum-Algen in «Algas Total Plant Tonic» um. Meeresalgen enthalten natürliche Wachstumshormone und viele Mikronährstoffe. Das Produkt fördert ein besseres Wurzelwachstum durch Bio-Stimulanz, damit Pflanzen Wasser und Nährstoffe besser aus dem Boden aufnehmen können. «Algas Organics» exportiert heute das Tonic in vier Länder, wobei die USA das Hauptexportland ist.
Unabhängigen Forschungsergebnissen zufolge erzielt das Tonic in einigen Fällen ein überlegenes Pflanzenwachstum von bis zu 50 % im Vergleich zu normalen Düngern.
Nicht nur für den Export ist Johanan‘s Pflanzenstimulanz gedacht. Es könnte noch ein anderes Problem lösen oder zumindest etwas verbessern. Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) aus dem Jahr 2011 zufolge, überschreiten die Länder des CARICOM (Karibikstaaten) die Marke von 4.25 Milliarden US-Dollar für Lebensmittelimporte pro Jahr. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Karibikländer eine grosse Menge Geld jedes Jahr aufwenden müssen, um Lebensmittel zu importieren, die sie selber nicht anbauen bzw. produzieren. Johanan sieht die Sargassumalge als ein Zeichen der Natur. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um einen grösseren Teil der benötigten Lebensmittel aus eigener Kraft bereit zu stellen.
Wir wünschen Johanan für die Zukunft das Allerbeste und viel Erfolg bei der (Rück-) Eroberung der Kolonialmärkte und freuen uns auf eine Zusammenarbeit, welcher Art auch immer.