Obwohl so viel passiert und tagtäglich die News voll sind, habe ich nichts zu erzählen.
Die Zeit ist angehalten, ich fühle mich wie in Watte gepackt. Alles was mir sonst so selbstverständlich erscheint, ist jetzt anders.
«Bewegungsfreiheit» Pepper, an welchen Strand gehen wir heute Joggen?
«Kontakte» What’s up? Haven’t seen you for a while. Big hug.
«Wahlfreiheit» Man könnte, wenn man wollte, aber man muss nicht.
«yes we can» Nein im Augenblick können wir eben nicht, den Virus zum Teufel jagen.
Konkret hat sich das bei uns in Saint Lucia folgendermassen entwickelt.
Mitte Februar entschied ich, nicht in die Schweiz zum Skifahren zu fliegen. Es war eine Zeit, als wir jeden Tag beim Kiten auf dem Wasser waren. Ausserhalb der Bay hatte es hohe Wellen, die unorchestriert brechen. Ich fahre mit dem Surfboard von rechts nach links und freue mich riesig, wenn ich über das Riff fahre und genau in dem Moment eine Welle angerollt kommt, mit der ich mitfahren darf. Es fühlt sich an, wie beim Skifahren ins Tal zu rauschen. Über meinem Genick bricht die Welle schon, aber mit dem Kite vorne weg weiss ich, dass ich schneller bin als die Welle hereinrollt. Und bevor das Weisswasser über mich einbrechen kann, und mir das Surfboard davonspicken kann, lenke ich den Kite nach unten und schiesse hinein in den nächsten Kicker, den nächsten Wellenberg, den ich versuche als Rampe zu nutzen und ohne Schlaufen das Brett beim Sprung an den Füssen zu behalten – Wahnsinn.
Wenn es missglückt, was es des Öfteren mal tut, ist das nicht so schlimm, denn schwimmend nehme ich die Wellenhöhe gar nicht so wahr, ich werde ja mit dem Wasser nach oben getragen. Ich stelle mir vor, wie unter meinen rudernden Füssen Schildkröten und bunte Fische vorbei schwimmen. Und da, wo es ein Reichtum an Nahrung gibt, da fehlt es doch bestimmt nicht an den grösseren Jägern, die lauernd um das Riff herum schwimmen. Das ist dann der Augenblick, wo ich immer etwas panisch versuche mein Board zu erreichen, um ganz schnell wieder meine Füsse auf dem gecarvten Brett zu platzieren, um mich vom Kite nach oben ziehen zu lassen. Persönlich glaube ich ja die Geschichten von den Riffhaien sind nur «Old Kiter Stories». Geschichten für das Bier danach. Oder ?
Der Flug ins vermeintliche Wintervergnügen wurde schon vergangenen Juli auf den 3. März geplant. Kurz vor dem Abflugtag lädt die First National Bank of St. Lucia zum MSME Unite Launch ein. Die Bank möchte die neue Abteilung willkommen heissen, welche sie gemeinsam mit Uwe entwickelt hat, und mit vielen geladenen Gästen darauf anstossen. Schlechtes Timing….
Long Story short, schweren Herzens rufe ich bei meinen Freundinnen an und erkläre mich. Ich werde nicht in die Schweiz zum Skifahren kommen und es gibt somit kein Wiedersehen.
Erst wenige Tage vor dem 3. März dämmert es mir langsam, dass es wahrscheinlich besser sein wird auf der Insel zu bleiben. Es wird verschiedentlich schon von Quarantäne für international reisende Personen gesprochen. Und tatsächlich wird das Skigebiet Andermatt genau vor dem Wochenende geschlossen, an dem ich eigentlich mit vielen Freunden beim Freeriden sein wollte. Den Heimreisenden aus Andermatt, die im Pflegesektor arbeiten, wird empfohlen 14 Tage in die Selbstquarantäne zu gehen.
Kopfschüttelnd verfolge ich die Nachrichten, denn alles wirkt so surreal.
Dass mein Gehirn in diesen Tagen die Headlines aus den Nachrichten gar nicht richtig verarbeiten und verbinden kann und diese sozusagen «über Ratio» verhaften, äussert sich in dem Gefühl, immer zu spät dran zu sein. Das heisst Situationen nicht so antizipieren zu können, dass ich Entscheidungen treffen könnte.
Zum Beispiel die Frage ob wir St. Lucia in Richtung Schweiz verlassen sollten? Die Frage stellt sich uns just als die Nachricht kommt, dass internationale Flüge ab jetzt ausgesetzt sind. Wir wollen zu diesem Zeitpunkt nicht ausreisen, ich hatte aber auch keine Wahlfreiheit. Die Ereignisse überrollen uns.
Dann war es eine Zeit lang still auf der Insel. In Europa wurden die Grenzen dicht gemacht, die Ausgangssperren verhängt und wir sassen bei Reggae in Marjorie’s Bar und schauten den anderen beim Kiten zu. Es war eine peinliche Stille. Unmöglich kann ich Freunden, die #stayathome auf ihren Profilbildern stehen haben, von meinen Kite Erlebnissen berichten. Ich spreche den Freunden Mut zu, dass alles schnell vorbei sein wird und hoffe, dass der Virus St. Lucia auf der Landkarte nicht findet.
Lasst es euch gesagt sein, der Virus ist clever, er hat auch St. Lucia gefunden und bestimmt schon bevor wir in der Bar bei Reggae sassen. Mit etwas Verzögerung erreichte auch uns die Schlagzeile «1st Case in St. Lucia», dann «4 Cases in St. Lucia» und so weiter. Heute sind wir bei 15 Fällen und glücklicherweise noch keinen offiziellen Toten. Ich hoffe inständig, dass ich lächelnd auf diese Zeilen blicken kann, wenn ich in einem Jahr diesen Bericht lesen werde.
Diese Stille wurde sogar noch leiser, als am 31. März abends um 9 Uhr der Prime Minister vor die Bildschirme tritt und den 24 hour curfue bekannt gibt. Das bedeutete, dass ab sofort bis zum 8. April niemand mehr das Haus verlassen darf. «Ausgangssperre» Eine softe Hitzewelle überzieht meinen Körper bei dem Gedanken, ob wir «Nahrungsmittel für 8 Tage haben?» Ja, wir haben Nudeln und Sosse und neben den Speckreserven ist auch der Kühlschrank noch gefüllt. Einen Tag später begann die Regierung mit der Verteilung von Essenspaketen an Bedürftige. In einem Land, in dem die Mehrheit der Bürger am Tag so viel Geld verdient, dass die Tagesration für die Familie eingekauft werden kann, da gibt es keine Vorratshaltung. Und da muss die Regierung sofort einen Plan zur Organisation und Verteilung von Lebensmittel haben, sonst herrscht Anarchie!
Genauso unangekündigt wie die Ausgangssperre verhängt wurde, wurde sie auch einen Tag früher wieder beendet. Doch die Lucians waren gewarnt. Für die nächsten 3 Tage ist die Polizei damit beschäftigt, Bürger in Reihen vor den Supermärkten zu orchestrieren. Am 2. Tag wartet eine Freundin von uns 7 Stunden vor dem Supermarkt um die Ecke. Wir sind bei dem Anblick gleich wieder heimgefahren.
Einen Tag später haben wir uns 2 Stunden in die Schlange gestellt und die Regierung hat bekannt gegeben, dass Ostersonntag und Ostermontag die Supermärkte geöffnet haben dürfen, um die Lage zu entspannen. Nichts desto trotz wurde heute am Karfreitag wieder die Ausgangssperre in Kraft gesetzt und der Zugang zu den Stränden unter 3 Tage Gefängnisstrafe und/oder 1000 $ Busse gestellt.
In diesen Tagen habe ich nichts zu sagen ausser
«Ich wünsche Euch allen blühende und zwitschernde Frühlingstage und frohe Ostern und bleibt bitte gesund!»
hallo meine Süsse
Super geschrieben. ja, es ist echt krass, was da abgeht und spätestens als die Städte in China geschlossen wurden, wurde mir klar, dass wir hier nicht von einer ganz normalen Grippe sprechen.
Das Perfide ist, dass man eigentlich nichts weiss und immer mehr beunruhigende Infos durchsickern.
Mir ist es mittlerweile auch total egal, ob bei uns eine Maskenpflicht kommt, denn Hauptsache wir bleiben gesund, oder?
Passt gut auf Euch auf und bleibt gesund und ich freue mich schon darauf, wenn ich wieder von Euch lese und vor allem, wenn ich Euch wieder mal live sehe und Ihr Eure Geschichten von St.Lucia erzählt.
Alles liebe und dicker Drücker,
Bettina, Ralf und Kim