Happy Saint Lucia

Ich liebe Saint Lucia. Ich liebe die Menschen und ich liebe ihre Art zu leben. Denn Saint Lucia macht glücklich. Hier meine Beweiskette:

Beweis 1, «der Verkehr»:
Saint Lucia’s Art der Verkehrsregelung macht glücklich. Ja. Nördlich von Castries, wo ich lebe, gibt es keine Ampeln aber viele Strassen. In Castries gibt es Ampeln aber ich habe sie noch nie funktionieren sehen. Es gibt nur eine Handvoll Kreisverkehre und viele Abzweigungen. Wieso also macht der Verkehr in Saint Lucia glücklich?

Besonders wenn Touristen die Insel bevölkern haben wir ein hohes Verkehrsaufkommen. Häufig fahren Touristen hier nicht selber, was vielleicht mit dem Linksverkehr, den die Amerikaner nicht schätzen zu tun haben könnte, sondern sie nehmen den Minibus oder das Taxi. Man stelle sich also vor, der Verkehr ist zäh bei einer Standard-Geschwindigkeit von maximal 40 km/h. Der öffentliche Nahverkehr in Gestalt von hunderten 14-sitzigen Minibussen hält circa alle 200 Meter auf dem Seitenstreifen an und nimmt Passagiere auf oder läd welche aus. Das Spezielle in Saint Lucia ist, dass die Minibusse oder auch Verkehrsteilnehmer von Seitenstrassen oder Hauseinfahrten, die auf den Millennium Highway einbiegen wollen, tatsächlich selbstverständlich von auf der Vorfahrtsstrasse fahrenden Auto rein gelassen werden. An jeder Abzweigung, Hauseinfahrt oder Minibus-Haltestelle wird der Verkehr wieder auf 0 abgebremst, da irgendwer rein oder raus will.

Das bedeutet Augen auf, denn der Vordermann steht im Stakkato auf der Bremse. Mitbremsen vermeidet Ärger und Dallen im eigenen Auto. Zum Dank hupt der Reingelassene 2 x kurz. Und wenn der Reinlassende gut gelaunt ist, dann antwortet dieser mit einem 2-fachen Hup-Bitte. Yep, so geht das hier.

Als Psychologin finde ich dieses Verhalten, auch wenn der zähe Verkehr nicht mit meinem Temperament korrespondiert, faszinierend. Denn was macht es mit unseren Gehirnen, wenn Hupen in einem Land ‘Danke’ und ‘Bitte’ symbolisieren und nicht «hey du Idiot schau’ dass du dich schleichst» huuuuuuup!

Das beeinflusst alle, die dieses Ritual leben, jeden Tag positiv. Ein durch Hupen vermitteltes ‘Danke’ ist ein regelmässiger Ausdruck der Dankbarkeit und Dankbarkeit ist die Grundlage zum glücklich sein. Glück ist ein Momentanzustand ein current status, der Dankbarkeit als Nährboden benötigt. Saint Lucia ist also ein riesen grosser und täglich grösser werdender Komposthaufen für Glück. Beim nächsten Lächeln das mir jemand schenkt, beim glutroten Sonnenuntergang, bin ich einfach glücklich, denn meine Synapsen der Dankbarkeit wurden heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit 100-fach gestärkt. Beweis Nummer 1: der Verkehr in Saint Lucia produziert glückliche Menschen.

 

Beweis 2 «das Grüssen»:

Heute Abend bin ich vom Hafen nach Hause gelaufen. Viele Menschen kamen gerade von der Arbeit nach Hause. Ich war etwas traurig, bestimmt haben meine Mundwinkel nach unten gezeigt, und die Augen hinter der verdunkelten Sonnenbrille machten einen blassen Eindruck. Doch kaum steigt jemand aus dem Auto aus oder läuft auf der anderen Strassenseite in die entgegengesetzte Richtung, dann sagt er «Good afternoon, how are you doing?». ‘Wie es mir geht?’ «Fine, and you?» «Oh, not too bad, enjoy your evening» «You too.» Nein, ich kennen die Personen nicht, mit denen ich das austausche, habe sie auch noch nie gesehen. Aber wie wundervoll, wenn Fremde ganz selbstverständlich nach meinem Wohlergehen fragen? Und ganz unerwartet entsteht ein Gespräch mit einem netten älteren Herrn mit Glatze, der gerade sein Auto abschliesst und die Hälfte von seinem Lunchpaket wieder mit nach Hause bringt. «That will make my wife angry.» und zeigt auf die Tüte mit dem Mittagessen. «Oh, I can imagine – Laugh

So zeichnet sich sogar in traurigen Momenten, ein Lächeln auf mein Gesicht.

Und wer das intensivieren will, der kann sich ein paar Worte auf Kwéyòl aneignen: «Sa ka fet?» «Bon, bon. Mèsi.» Das macht Lucians nämlich glücklich. Die Menschen sind stolz auf ihre Insel und ihr Kwéyòl. Es ist eine gute Idee ein paar Wörter auf Patois zu können. Es macht dich ein kleines bisschen glücklicher und dein Gegenüber bestimmt noch mehr.

 

Beweis 3 «liebe dich so wie du bist und deinen Nächsten auch»:

Saint Lucians interessieren sich nicht dafür, wer ihnen beim Singen zuhört und ob sie Singen können oder nicht. Es interessiert sie auch nicht ob jemand meinen könnte sie seien etwas zu korpulent für die Hotpants oder das Minikleid. Lucians erfreuen sich am Tanzen, am Singen und denken nicht drüber nach, ob der Normal-BMI massiv überschritten ist oder nicht. Und das macht sie so sympathisch.

Seit Covid-19 steht ein Mann an der Eingangstür vom Supermarkt und sprüht Hand-Desinfektionsmittel in die Hände von jedem, der den Laden betritt. Dabei begrüsst er mich regelmässig mit «Good Afternoon, my Darling». Die Kassiererin trällert ein Lied während sie die Produkte in die Kasse eintippt und frägt zwischendurch «You have a Massi-card, my Love?». Das macht vom Betreten des Supermarkts bis zum Verlassen glücklich. Es ist scheinbar gar nicht schwer andere Menschen glücklich zu machen.

Natürlich gibt es dann auch die etwas nervenaufreibende Kehrseite dazu. Nicht dass ich etwas dagegen habe, dass die meiste Zeit in irgendeiner Bar in meinem Quartier Reggae oder Country music läuft. Immerhin sind die Karibischen Inseln die Heimat des Reggaes und ich finde Country music am Sonntagmorgen zum Frühstück gar nicht so übel.

Aber wenn an 2 Abenden in der Woche Karaoke auf dem Barprogramm steht und aus unerklärlichen Gründen bei uns am Haus nur der Gesang ankommt und dazu noch so laut, dass man unmöglich den Fernseher laut genug stellen kann und das ganze bis nach 1 Uhr nachts andauert, auch steigender Alkoholkonsum nicht zur Gesangsqualitätssicherung beiträgt, dann ist es nicht ganz so einfach seinen Nächsten immer noch zu lieben.

 

Und trotzdem oder gerade darum: Saint Lucia macht glücklich.

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